| Wir laufen neugierig durch Mysore, die alte elegante Maharadha Stadt. Wir passieren den  großen Markt und enge Gassen, wo unsere Sinne, die auf traditionelles Indien  gerichtet sind, schwelgen dürfen. 
 Dann treffen wir am Sri Ganesha Schrein auf eine Hindu-Puja, wohnen ihr eine halbe  Stunde bei und hören auf die ekstatische Musik. Blumendüfte, Räucherwerk und die  Farben tun ein Übriges, so dass man bald in einen angenehmen Tagtraum fällt.
 
 Hier in Indien hat man als Reisender das Gefühl, dass sich der Mensch noch spürt im  Positiven, wie auch im Negativen. Dadurch entstehen ziemlich scharfe  Verhaltenskontraste. Weisheit und Ruhe der brahmanischen Lehre stehen gegen die  Rowdys auf Motorrädern. Tiefe Spiritualität gegen Trunkenheit. Traumhaft schöne  Gebäude mit gepflegten Innenhöfen und Gartenanlagen kontrastieren mit übel  riechenden Abfallhaufen. Diese werden gerne  von Schweinen, Kühen, Hunden und Affen durchsucht.
 
 Am Abend  durchwandern wir unser weiträumiges Hotel und stoßen auf ein seltsames Restaurant. Tiefe Finsternis  umgibt uns und wir dachten erst, wir wären in der Familiengruft des indischen  Besitzers gelandet. Aber jetzt können wir Tische erkennen und diese stehen in  künstlichen Höhlen. Von der Decke hängen meterlange Fledermäuse, zum Glück nur  eine Saaldekoration. Sie führt von der Decke nach unten, wo allerlei  undefinierbares Dschungelgetier vor allem in Nischen und Ecken lauert. Auch  gibt es seltsam dreinschauende Gips-Indianer in Gesellschaft ebensolcher  Dinosaurier, dazu riesige Masken im Inka-Stil mit glühenden Augen. Wasserfälle  gehen an und versiegen wieder. Den Lautsprechern entflieht zwischen  Musikeinlagen dumpfes Grollen wie bei Vulkanausbrüchen oder Erdbeben. Die  Kellner stecken alle in Kaki-Uniformen mit Tropenhelm und umgeschnallten Pistolenhalftern. Zu unserer Zufriedenheit  veranstalten sie aber keine Schießübungen, sondern benehmen sich wie richtige Kellner und servieren ordentlich.
 
 
 Ein älterer Kellner
 
 Das Restaurant, momentan ohne Gäste, so kahl wie es geräumig ist, liegt tief im alten Teil einer alten Stadt: einer Pilgerstadt, Madurai. Das Restaurant, man könnte  es für eine Halle halten, in der die Stadtbusse ihre Nacht verbringen. Nach  Benzin und Abgasen riecht es hier nicht. Dafür aber nach Dal, very hot. Dem  einzigen Gericht, dem heute die Rolle des Abendessens zufällt. Der ältere Kellner, naives Kindergemüt und eine nervtötende Kratzestimme kann uns nur das  eine Einzige empfehlen. Der Hunger verhindert, dass wir uns auf die Suche nach einem anderen Restaurant begeben. Unsere Aufmerksamkeit wird auf die Spülerin  und Zugehfrau gelenkt, die hinter dem Tresen werkelt.  Bekleidet ist sie mit einem Arbeitssari von unbestimmbarer Farbe. In ihrem dunklen Gesicht leuchtet in der rechten Hälfte ein silberner Eckzahn und ragt ca. einen cm über die Unterlippe hinaus.
 
 Während wir  noch irgendwelche Überlegungen anstellen, lässt sich erneut die nervtötende Kratzestimme vernehmen und das Essen kommt. Danach zieht sich der Kellner einen Stuhl heran. Die Lehne wird nach vorne gedreht, wenige Zentimeter Abstand zu uns. Umständlich nimmt der Kellner rittlings Platz, die Arme auf der Stuhllehne verschränkt. Sein Blick  wird starr und er schaut zu, wie es uns schmeckt.
 
 
 Karl-Marx unter Goldschmuck-Damen
 
 Im südindischen  Staat Kerala gibt es eine asphaltierte Autobahn, wie auch einige Bundesstraßen. Wir fahren so bequem wie ganz selten in Indien. Die Ortschaften wirken  wesentlich wohlhabender, als jene die wir vorher in anderen Staaten durchfuhren. Jetzt erscheinen rote Fahnen mit Hammer  und Sichel, denn Kerala ist kommunistisch. Zu beiden Seiten der Straße, die  geradeaus führt, ziehen wie auf einer Bühne prachtvolle Szenen vorbei.  Zwischen Kokos- und Bananenplantagen alter Baumbestand und Natur-Tropenwald. Es  folgen schmucke Villen, Tempel, Moscheen, Kirchen und Geschäftshäuser. Jetzt wird der rote Fahnenschmuck noch dichter, die Partei macht Veranstaltungen. Viele  farbenfroh gekleidete Leute flanieren, auch aus anderen Landesteilen, wie es  die Kleidung anzeigt. Kerala-Performance! Bunt bemalte Ochsenkarren rumpeln  vorbei. Die Ochsen mit riesigem Gehörn, das blau oder rot eingefärbt ist. Vollgepackt sind die Karren mit kostümierten Pilgern und Musikern. Äußerst  muntere Leute.
 
 Muntere Leute sind auch auf Großplakaten zu sehen, in Kerala ein  wichtiges Werbemedium. Viele KP-Größen wechseln auf den plakatierten Holzwänden  ab. Karl Marx und Che Guevara, aber auch Lenin und Stalin. Zu ihrer Verehrung  sind sie mit um den Hals genagelten frischen Blumenkränzen geschmückt. In  Nachbarschaft schöner Damen, die auf überdimensionalen Werbeplakaten in  Maharani–Pose für Goldschmuck werben und dieses politische Gegenüber ganz  angenehm finden. Auch Exotik taucht in der Plakatwerbung auf. Ein Spruch ist zu  lesen, dass man mit dieser Versicherung auf total sicheren Beinen steht. Darunter zwei qm2 Lüneburger Heidekraut und darauf steht ein Hünengrab.
 
 
 Fahrer mit Fragezeichen
 
 Hampi in Südindien gehört zum wichtigsten indischen Weltkulturerbe. Eine riesige Stadt  bestehend aus Tempeln, Palästen und Villen der Chaulukya-Herrscher um  1500.  Die Ausstrahlung dieser  Architekturkomplexe inmitten einer surrealen Gerölllandschaft ist  unvergesslich, besonders in der Abendsonne. Natürlich müssen wir da noch ein  zweites Mal hin.
 
 Früh am nächsten Morgen schreiten wir in Hotelnähe die Phalanx  der Motorrikshas ab. Die Fahrer schwelgen in verstiegenen Preisvorstellungen  für die 20 km Fahrt nach Hampi. Der letzte liegt mit seinem Fahrpreis etwas  günstiger, wir feilschen noch ein bisschen, dann kann es losgehen. Ja, hätten  wir nur gewusst, dass dieser Fahrer der Falsche war. Gut, er fuhr uns  schweigend Richtung Hampi. Zu unserem Erstaunen wählt er nicht den offiziellen  und jedem Fahrer bekannten Parkplatz in Hampi-Bazar, sondern wollte uns an  einem Einödplatz aussteigen lassen. Hinzu kommt, dass dieser Fahrer, Shiva steh  mir bei, kaum ein Wort Englisch  versteht. 
                        
            Er begreift  nicht einmal, was wir überhaupt wollen, selbst als wir andere Inder bitten, ihm  unsere Wünsche zu übersetzen. Außerdem scheint er das ganze Areal nicht zu kennen.  Für jemand, der in der Touristenbranche mit diesem Job sein Geld verdient, ist  er reichlich dumm. Bevor wir uns versehen, karrt er uns in einen staubigen und  holperigen Feldweg, obwohl wir ihm eine Hampi-Karte mit gekennzeichneten  Fahrwegen unter die Nase halten
 
 Die Fahrt wird zunehmend grauenvoller, bis wir  endgültig anhalten müssen. Der Weg ist versperrt durch einen querstehenden  Wagen, von dem Zuckerrohr abgeladen wird. Erst nach einer Stunde können wir  weiterfahren. Nur kurz währt die Dauer unserer Freude, denn jetzt stecken wir  endgültig fest. Ärgerlich, den so schwindet der Tag rasch und gemein. Drei Tempelanlagen hätten wir noch gerne heute durchwandert, dabei sind wir noch  nicht einmal am Ziel angekommen. Stattdessen stehen wir und starren in düster  grünes Dickicht in dem nur ein spärlicher Fahrweg zu erkennen ist. Ungute  Gedanken kommen auf. Das Areal ist ja auch ein Wildreservat und wie ist das  eigentlich mit den Tigern? Sind sie nur nachts unterwegs oder ist es möglich,  dass auch am Tag einer vorbei kommt.
 
 Ein paar  Schweigeminuten folgen. Inzwischen kriegt der Fahrer seine Riksha wieder flott  und wir rattern davon. Nein, es hat sich schon wieder ausgerattert und der  Fahrer fuchtelt mit den Armen. Umkehren müssen wir und kein Weg ist in Sicht.  Links glänzt ein Fluss und rechts steht die Abbruchkante eines Hohlweges.
 
 Wir  helfen mit Muskelkraft, dem Fahrer sein Gefährt auf dem engen Weg zu drehen.  Nun werden wir von der Natur etwas entschädigt, unser Ärger schwindet, als ein  schön gewachsener Banyan-Baum in unser Blickfeld gerät mit einer Zugabe von  prallem Leben. Ein Rudel zierlicher Hutaffen, einige Königsfischer, ein Flug  grüne Loris, alles schön beisammen wie bestellt. Ganz nah! Wir brauchen dafür  nicht einmal das Fernglas.
 
 Der Fahrer wirkt jetzt aufgeregt, es dämmert ihm,  dass er seine Fahrzeit überzogen hat. Jede Person, die uns entgegenkommt, fragt  er eingehend nach dem weiteren Weg. Zusehens entspannt sich die Miene des  Fahrers und zeigt an, dass er die Auskünfte seiner Landsleute begriffen haben  könnte. Tatsächlich, als wir eine halbe Stunde älter sind, treffen wir in  Hampi-Bazar ein. Endlich können wir dieses Fahrtalent loswerden.
 
 Good bye  Mister, es war schön, mit Ihnen zu reisen.
 
 Alle Texte Georg Ruedinger 2012
 
 
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